Home » Rezensionen » Nightcrawler – Erfolg um jeden Preis
30. März 2015von Martin Sowa
RedakteurDer Kleinkriminelle Lou verbringt seine Zeit mit dem Surfen im Internet und verdient sein Geld mit Diebstahl. Bis er plötzlich einen Job findet, der perfekt zu ihm passt.
Louis „Lou“ Bloom (Jake Gyllenhaal) schlägt sich so durch. Der eloquente, aber unscheinbare junge Mann klaut im Schutz der Dunkelheit ein bisschen Metall und Draht, verkauft es günstig und sucht weiter nach Beute. Eines Nachts wird er Zeuge eines Unfalls und trifft auf den Sensationsreporter Joe Loder (Bill Paxton). Dieser hält nicht an, um zu helfen, sondern um die Szene mit dem brennenden Auto und die Rettungsaktion durch zwei Polizisten zu filmen. Lou spricht ihn an und erfährt, dass die Aufnahmen ans Fernsehen verkauft werden – in Lous Augen eine gute Möglichkeit, nicht mehr als Dieb seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Prompt stürzt auch er sich mit einer Videokamera bewaffnet in die dunklen Abgründe der Medienwelt und erzielt dank seiner Dreistigkeit direkt erste Erfolge. Nachrichtenchefin Nina (Rene Russo) vom relativ kleinen und von durchwachsenen Einschaltquoten gebeutelten Sender KWLA erkennt Lous Potenzial und wird zur exklusiven Anlaufstelle für den aufstrebenden Reporter.
Durch seine überzeugende und selbstbewusste Art gewinnt Lou schnell neue Einblicke in sein neues Metier. Von Nina erfährt er, welche Bilder für die Sender interessant sind. Idealerweise sind es reiche Gegenden und wohlhabende Opfer, gerne zu Schaden gekommen durch Täter aus der Unterschicht und/oder Minderheiten. Während Nina ausführlich erklärt, was in diese Kategorie fällt, ist für Lou schnell klar: es sollte möglichst blutig und schockierend sein. Seine – auch immer wieder von ihm selbst betonte – schnelle Auffassungsgabe und sein Assistent Rick (Riz Ahmed) helfen ihm, sich in kürzester Zeit gegen die erfahrene Konkurrenz durchzusetzen. Sein Sinn für Bildkomposition führt so weit, dass er in fremde Häuser eindringt sogar Unfallopfer kameratauglich umdrapiert, bevor die Rettungskräfte eintreffen. Seine Skrupellosigkeit lässt ihn auf der Jagd nach möglichst spektakulären Aufnahmen nach und nach jede Grenze vergessen.
Was Nightcrawler (auf Deutsch wörtlich übersetzt übrigens nichts anderes als der „Gemeine Regenwurm“) so brutal macht, sind nicht die gezeigten Bilder. Es gibt kaum explizite Szenen zu sehen, da auch der Zuschauer erst gemeinsam mit Lou nach den Unfällen und Verbrechen am Schauplatz eintrifft. Viel heftiger ist jedoch das Verhalten der Sensationsreporter, die nicht nur kein Interesse an Unterstützung für die Opfer haben, sondern ganz im Gegenteil ihre Rettung völlig ungeniert behindern. Ständig wird Lou (wie auch seine Konkurrenz) angebrüllt, er solle abhauen, während seine Kamera weiter voll aufs Geschehen gerichtet ist. Mit den ursprünglich für journalistische Arbeit angedachten moralischen Grundregeln hat das absolut nichts mehr zu tun – leider ist dieses Szenario aber nicht unrealistisch. Wer gewisse Sender in den USA kennt, weiß, was gemeint ist. Und auch in Deutschland war zuletzt häufiger davon zu lesen, dass Autofahrer an Unfallstellen durch Handyaufnahmen und langsames Vorbeifahren aufgefallen sind und nicht durch Erste Hilfe – was hierzulande immerhin noch durch Post von der Staatsanwaltschaft quittiert wird. Nicht jedoch in Nightcrawler, hier gehört die Sensationslust ebenso dazu wie offenbar die nicht exklusive Marschrichtung des Senders KWLA, der Angst verbreitet und die Zuschauer damit bei der Stange hält. Statt Informationen einfach nur zu liefern, werden sie geschickt inszeniert und ausgeschlachtet.
Ebenfalls sehr verstörend ist die geniale Darbietung von Jake Gyllenhaal, der als Nightcrawler Lou Bloom kaum wiederzuerkennen ist und den Film ohne jeden Zweifel prägt. Als wäre diese Wandlung im Zusammenhang mit der ganz eigenen, leicht psychopatischen Mimik und Gestik Lous nicht schon großartig genug, füllt er seine Figur dermaßen gekonnt mit Leben, dass man ihm einfach jede Sekunde abnimmt. Er wechselt scheinbar übergangslos zwischen dem umgänglichen, Small-Talk führenden jungen Mann, der immer den richtigen Spruch auf den Lippen hat, dem schmeichelnden Schleimer und schamlosen Lügner sowie dem knallharten Geschäftsmann, wenn es um die Verhandlung von Honoraren oder andere geschäftliche Dinge geht. Dass er dabei äußerst gründlich arbeitet, wird nur andeutungsweise gezeigt und macht das plötzliche Offenlegen von Wissen über Lous Gegenüber nur noch überraschender und effektiver. So fragt man sich auch den ganzen Film über, was dieser Lou wohl bisher erlebt hat, um zu dem Menschen zu werden, der er ist. Der einzige Nachteil dieses grandiosen Auftritts: Die ebenfalls sehr gute Leistung der übrigen Darsteller geht ein wenig unter. Allen voran Rene Russo und der unbekanntere Riz Ahmed liefern ebenfalls starke Darbietungen ab.
Ob dabei alles so einfach ist wie dargestellt, darf kritisch angemerkt werden – für manche Informationen werden in der Realität mit Sicherheit mehr als ein, zwei Suchanfragen im Internet benötigt. Der rote Faden von Nightcrawler allerdings ist klar und logisch durchgezogen und die zugrunde liegende Geschichte weder übertrieben noch unrealistisch. Dass Regisseur Dan Gilroy dabei eher Wert auf psychologische Details und weniger auf Knalleffekte (obwohl es zwischendurch in Hetzfahrten und Verfolgungsjagden ordentlich zur Sache geht) legt, baut langsam und konstant Spannung auf, die sich dann extrem lange auf sehr hohem Niveau hält und in ein für Thriller eher ungewöhnlichen Ende mündet. Ebenfalls sehr unkonventionell ist, dass Lou Bloom als Protagonist des Films keinen echten Gegenspieler hat. Vielmehr ist es das persönliche Moralempfinden des Publikums, das in Konflikt zur Hauptfigur tritt. Immer wieder erwischt man sich dabei, wie man mit Lou mitfiebert und dann erschreckt feststellt, was der da eigentlich gerade tut.
Nicht nur erzähltechnisch ist Nightcrawler gelungen, auch handwerklich bleiben keine Wünsche offen. Das langgezogene Intro vermittelt zunächst eine Menge Eindrücke des nächtlichen Los Angeles, das fast durchgehend Schauplatz des Films ist. Gepaart mit spannungsgeladener Hintergrundmusik fühlt man sich direkt ins Geschehen gezogen. Das Bild der Blu-ray ist trotz der ständigen dunklen Szenen extrem klar und detailliert, die Farben heben sich in deutlichem, aber nicht übersättigten Kontrast ab. Der Ton wird fast nur in den rasanten Fahrten zu den Unfall- und Tatorten richtig gefordert. In diesen Fällen beeindruckt er mit einer extrem druckvollen Intensität, während in den ruhigeren Szenen diverse Details wie das Zirpen von Grillen oder das entfernte Klappern von Besteck äußerst gut platziert werden. Im Bonusmaterial gibt es neben Trailern zwar nur eine knapp fünfminütiges Making-Of, das allerdings äußerst sehenswert ist und sehr gute Einblicke in die Entstehung und Hintergründe der Story gibt.
Fazit
Mit Nightcrawler tritt Regisseur Dan Gilroy den Beweis an, dass es für nervenzerfetzende Filme nicht immer ausufernde Fantasie braucht – die Realität ist mitunter noch schockierender. Und auch Jake Gyllenhaal beweist als Hauptdarsteller, dass er nicht nur ein hervorragender und extrem wandlungsfähiger Schauspieler ist, sondern außerdem ein herausragendes Gespür für die Auswahl der richtigen Rollen hat. Wer überlegt, ob er die eigene Filmsammlung um Nightcrawler ergänzen soll, dem sei gesagt: Nicht ob – wann! Wann? So schnell wie möglich.
„Nightcrawler“ ist als DVD und Blu-ray im Vertrieb von Concorde Home Entertainment erhältlich.
Genre
Thriller
Laufzeit
ca. 118 Minuten
Altersfreigabe
ab 16 Jahren
Regie
Dan Gilroy
Cast
Jake Gyllenhaal, Bill Paxton, Rene Russo, Riz Ahmed
90 of 100
95 of 100
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