Home » Rezensionen » Königin der Wüste – Durch die Wüste zu sich selbst
16. Februar 2016
von Martin Sowa
Redakteur
Weil ihr das gesellschaftliche Leben im britischen Adel wenig lebenswert erscheint, macht sich die gebildete Gertrude Bell zu Forschungsreisen auf den Weg in den Nahen Osten. Dort wird sie bald zu einer respektierten und einflussreichen Persönlichkeit.

In der britischen Heimat fühlt sich Gertrude Bell (Nicole Kidman) nicht so richtig wohl. (© Prokino Home Entertainment)
Im England des 19. Jahrhunderts gibt es für Frauen so gut wie keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, die Ehe mit einem gesellschaftlich anerkannten Mann ist das höchste Ziel. Gertrude Bell (Nicole Kidman) sieht das allerdings anders, als gebildete Frau kann sie sich mit dem Mangel an Optionen nicht anfreunden. Die Empfänge, bei denen sie potenziellen Ehemännern vorgestellt wird, langweilen Bell. Also nutzt sie die Gelegenheit, in die britische Botschaft nach Teheran zu reisen. Sie lernt – auch mit der Hilfe des dortigen Botschafters Henry Cadogan (James Franco) – Persisch und entwickelt das Interesse für die Wüste. Mit der Zeit wächst auch ihr Interesse am gebildeten Cadogan, der mit ihr auf weitaus höherem Niveau kommuniziert als die Männer in der Heimat. Schon bald hält Cadogan sogar um Bells Hand an, doch ihre Eltern sind gegen die Ehe – Cadogan hat ein dem Adel nicht angemessenes Geheimnis mit fatalen Folgen…
Nach kurzem Aufenthalt in der Heimat hält auch die Trennung von ihrem Geliebten Gertrude Bell nicht davon ab, erneut in den Nahen Osten zu reisen und die Wüste noch genauer zu erkunden. Dieses Mal steht ihr in Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis) erneut ein Diplomat zur Seite und ermöglicht ihr die Forschungen. Immer besser lernt Bell das Leben in der Wüste und insbesondere die Kultur der Beduinenstämme kennen und sammelt dabei Erfahrungen und Wissen, die ihr allseits zunehmende Anerkennung einbringen.

Also nutzt sie die Gelegenheit und reist nach Teheran in die britische Botschaft. (© Prokino Home Entertainment)
Eher lose an Fakten orientiert
Um es gleich vorwegzunehmen: Königin der Wüste ist kein faktentreues Biopic, sondern ein Abenteuerdrama mit großzügigen Ausflügen in die Romantik – und ja, der durchschnittliche männliche Zuschauer wird dem wahrscheinlich nicht so viel abgewinnen können. Aber die unangenehme Befürchtung, die beim Stichwort „starke, eigenständige Frau“ durch diverse Filme mit Veronica Ferres aufkommt, ist hier dann doch fehl am Platze.
Kritisieren darf man aber, dass Regisseur Werner Herzog (bzw. wohl auch die Produzenten im Hintergrund) es zugunsten der Unterhaltung in Sachen Faktentreue nicht so genau nimmt. So stellt sich zum Beispiel die Frage, warum nach Absage der ursprünglich geplanten Hauptdarstellerin Naomi Watts ausgerechnet die australische Hollywood-Größe Nicole Kidman die im Norden Englands geborene Gertrude Bell verkörpern sollte. Einerseits, weil die echte Gertrude Bell zum Zeitpunkt ihrer ersten Reise in den Orient erst 25 Jahre alt und damit ganze 20 Jahre jünger war als die sie hier verkörpernde Kidman, die sich in den zwanzig Jahren der Handlung optisch kaum verändert. Auch weil Bell rothaarig war und Kidmans Frisur dann doch recht deutlich dem Blond zuzuordnen ist – und das sind nur die recht offensichtlichen Beispiele, es gibt weitere dramaturgisch angepasste „Fehler“ (wie zum Beispiel ein makelloses Erscheinungsbild trotz mehrtägiger Reise durch die Wüste), die auch die übrigen, realen Persönlichkeiten betreffen.

Dort trifft Bell auf Henry Cadagan (James Franco) und Florence (Holly Earl). (© Prokino Home Entertainment)
Abgesehen davon kann Königin der Wüste aber trotzdem verdeutlichen, dass Gertrude Bell sich als Pionierin in diversen Bereichen zu Recht einen Namen gemacht hat. Wenngleich kaum gewürdigt wird, dass sie auch vor ihren Reisen in den Nahen Osten achtbare akademische Leistungen erbracht hatte (der fehlende Grad ist der damaligen Zeit und ihrem „Status“ als Frau geschuldet) so werden ihre späteren Arbeiten als Archäologin und Historikerin besser beleuchtet, obwohl es auch hier eher um die für sie als Frau zu überwindenden Schwierigkeiten als um konkrete Forschungsergebnisse geht – dafür hätte aber selbst die Spieldauer von knapp zwei Stunden wohl kaum ausgereicht. Allerdings sind die darum gestrickten Dialoge bisweilen dann doch arg kitschig geraten. Das fällt vor allem beim ersten Auftritt von James Franco und Holly Earl überdeutlich auf und selbst in der weitaus gelungeneren zweiten Hälfte von Königin der Wüste schleichen sich immer wieder recht seltsam anmutende Sätze ein.
Dementsprechend wirken auch die schauspielerischen Leistungen mitunter etwas holprig, insbesondere wenn man weiß, dass die Darsteller das eigentlich deutlich besser können. Das gilt vor allem für James Franco, der beispielsweise in „Dritte Person“ trotz Kurzauftritt wesentlich vielschichtiger agierte als hier. Hervorzuheben ist im Ensemble vor allem Damian Lewis („Homeland“), der seiner Rolle am meisten Lebendigkeit verleiht. Robert Pattinson als T.E. Lawrence wirkt hingegen etwas deplatziert, wobei er zu denjenigen im Cast gehört, von denen man wahrscheinlich ohnehin nicht allzu viel erwartet…

Cadagan weckt auch das Interesse für die Wüste und Beduinenvölker in Bell. (© Prokino Home Entertainment)
Vorteil in der zweiten Hälfte
Die „bessere Hälfte“ von Königin der Wüste beginnt übrigens nach rund einer Dreiviertelstunde mit einem relevanten Satz. Hier sagt Bell, dass sie nun weiß, wer sie sei und endlich hinterlässt sie auch den Eindruck einer selbstbewussten, unerschrockenen Frau (die übrigens auch deutlich besser zu Kidman passt und sie viel sicherer wirken lässt). Energisch setzt sie ihre Forschungsreisen bei britischen Amtsträgern durch und ebenso bestimmt agiert sie in Konfliktsituationen in der Wüste. Dass sie dabei bisweilen sogar etwas rücksichtslos agiert (insbesondere anderen Frauen gegenüber!) scheint irgendwie niemandem aufgefallen zu sein – diese Eigenschaft taucht nur erstaunlich beiläufig auf und passt eigentlich gar nicht zum ansonsten sehr positiv gezeichneten Bild von Bell, die von den arabischen Männern vor allem für ihr respektvolles Verhalten geachtet wurde.
Ebenso irritiert Königin der Wüste mit den bisweilen sehr abrupten Sprüngen von einem Kapitel im Leben von Gertrude Bell zum nächsten – von denen übrigens einige komplett ausgespart werden. Insbesondere der Wandel von der Forschungsreisenden zur politischen Beraterin (ein übrigens nur sehr kurz und erneut vor allem aufgrund der Affäre zu Charles Doughty-Wylie beleuchtetes Kapitel) fällt sehr plötzlich aus.

Selbstbewusst unternimmt Bell Forschungsreisen, bei denen sie von Charles Doughty-Wylie (Damian Lewis) unterstützt wird. (© Prokino Home Entertainment)
Ohne Einschränkung überzeugen kann die Blu-ray von Königin der Wüste mit dem extrem gut gelungenen Bild und den Aufnahmen in der Wüste (die vor allem in Marokko gedreht wurden). Hier zahlt es sich aus, dass der Film in 4K gedreht wurde und die beeindruckende Landschaft in imposantem Detailreichtum präsentiert – was zugleich die Faszination Gertrude Bells für diese Gegend erklärt. Der Ton wird hingegen selten gefordert und hätte in einigen Szenen durchaus weniger aufdringlich sein dürfen – so angenehm klingen gurgelnde Dromedare und Kamele dann doch nicht…
Das Bonusmaterial beinhaltet neben den Trailern lediglich ein Interview mit Regisseur Werner Herzog, das mit 20 Minuten allerdings deutlich über den üblichen Rahmen hinausgeht und vor allem für seine Fans interessant sein dürfte. Die Darsteller selbst hätten da vielleicht auch etwas zu erzählen gehabt…

Die ausgedehnten Streifzüge durch die Wüste werden von 4K-Kameras beeindruckend eingefangen. (© Prokino Home Entertainment)
Fazit
Auch wenn Königin der Wüste nur mehr oder weniger lose auf dem Leben von Gertrude Bell basiert, deutet der Film das Bild einer unerschrockenen und selbstbestimmten Frau an, die sich den gesellschaftlichen Hürden stellt und diese mit respektablen Leistungen überwindet. Besonders beeindruckend sind die detaillierten Bilder der Wüste, die auch Bell so fasziniert hat.
„Königin der Wüste“ ist als DVD und Blu-ray im Vertrieb von Prokino Home Entertainment erhältlich.
Genre
Abenteuer/Drama/Biografie
Laufzeit
ca. 129 Minuten
Regie
Werner Herzog
Cast
Nicole Kidman, James Franco, Robert Pattinson, Damian Lewis
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